Altersarmut in Zahlen
Wissenschaftliche Perspektive
Im Nachfolgenden sollen Zahlen zum Thema Altersarmut präsentiert werden. Aus wissenschaft-lichen Gesichtspunkten ist es hierzu unerlässlich, zumindest kurz zusammenzufassen, wie sich Altersarmut definiert. Denn es gilt: Um Aussagen über die Anzahl der Betroffenen machen zu können, muss klar sein, wie sich Altersarmut eingrenzen lässt bzw. welche Kriterien erfüllt sein müssen. Letzten Endes geht es also um die Differenzierung zwischen arm und nicht arm. Danach wird das Ausmaß von Altersarmut in Österreich dargestellt werden; im Anschluss erfolgen ein paar Informationen, welche Hinweise über den Alltag von Altersarmut betroffener Menschen liefern.
Definition von Altersarmut
Die Berichterstattung über Armut – hier im Allgemeinen verstanden – hat vor allem in den letzten Jahren zugenommen. Einfluss ist der Europäische Union beizumessen, welche der Armuts-bekämpfung einen wichtigen Stellenwert einräumt und die nationale Armutsdefinition prägt. Vielleicht haben Sie schon von AROPE (at risk of poverty or social exclusion) gehört, einem Indikator, welcher Armut oder soziale Ausgrenzung von Personen misst. Im Normalfall besteht AROPE aus drei Dimensionen: der Einkommensarmut, einer erheblichen materiellen Deprivation und einer niedrigen oder keinen Erwerbsintensität im Haushalt. Letzteres wird nicht auf ältere Menschen angewandt, womit nur die ersten beiden Dimensionen zur Armutsmessung von Relevanz sind.
- Einkommensarmut
Die Dimension der Einkommensarmut wird relativ gemessen, d.h. die Armutsschwelle wird in Beziehung zu allen Gesellschaftsmitgliedern errechnet. Als armutsgefährdet werden jene Personen bezeichnet, deren äquivalisiertes Nettohaushaltseinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle von 60% des Medians liegt. Für 2016 beträgt die ermittelte Armutsgefährdungsschwelle somit 14.217 Euro für einen Einpersonenhaushalt. Anders formuliert, wer weniger als 14.217 Euro im Jahr zur Verfügung hatte, gilt als einkommensarm. Für unterschiedliche Haushaltsgrößen bedeutet dies folgendes:
Haushaltstyp | Gewichtungsfaktor nach EU-Skala | Jahreswert in EUR |
Einpersonenhaushalt | 1 | 14.217 |
1 Erwachsener + 1 Kind | 1,3 | 18.482 |
2 Erwachsene | 1,5 | 21.325 |
2 Erwachsene + 1 Kind | 1,8 | 25.590 |
2 Erwachsene + 2 Kinder | 2,1 | 29.855 |
(siehe Statistik Austria, 2017a, S. 11)
Exkurs
Erörterung zur Äquivalenzskala Wie die Tabelle zeigt, wird bei Mehrpersonenhaushalten die Armutsgefährdungsschwelle nicht einfach mit der Anzahl der im Haushalt befindlichen Personen multipliziert, sondern jede weitere erwachsene Person wird mit dem Faktor 0,5 und jede Person unter 14 Jahren mit dem Faktor 0,3 einbezogen. Die Vorstellung dahinter ist, dass bei einem Mehrpersonenhaushalt sogenannte Ska-leneffekte (d.h. Kostenersparnisse im Haushalt durch gemeinsames Wirtschaften) eintreten. Das bedeutet, es wird weniger Geld benötigt, um den gleichen Lebensstandard wie bei einem Einpersonenhaushalt zu erreichen; zum Beispiel genügt in einem Paarhaushalt eine Waschmaschine. In einem älteren Paarhaushalt gilt daher, dass beide als einkommensarm bzw. armutsgefährdet bezeichnet werden, wenn das gemeinsame verfügbare Haushaltseinkommen unter 21.325 Euro im Jahr liegt.
- Erhebliche materielle Deprivation
Diese Dimension erfasst die Problematik, sich gewisse Aspekte im Leben nicht leisten zu können, wobei davon ausgegangen wird, dass diese zum Lebensstandard in unserer Gesellschaft dazugehören. Kann man sich 4 oder mehr der 9 im Folgenden genannten Aspekte aus finanziellen Gründen nicht leisten (ein freiwilliger Verzicht wird nicht hinzugezählt), dann gilt man als erheblich materiell depriviert:
- Regelmäßige Zahlungen in den letzten 12 Monaten rechtzeitig begleichen (Miete, Betriebskosten, Kreditrückzahlungen, Wohnnebenkosten, Gebühren für Wasser-, Müllabfuhr und Kanal, sonstige Rückzahlungsverpflichtungen).
- Unerwartete Ausgaben bis zu 1.160€ finanzieren.
- Die Wohnung angemessen warmhalten.
- Jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch (oder entsprechende vegetarische Speisen) essen.
- Einmal im Jahr auf Urlaub fahren.
- Sich einen PKW leisten können.
- Sich eine Waschmaschine anschaffen können.
- Sich ein Fernsehgerät kaufen können.
- Sich ein Telefon oder Handy leisten können.
Exkurs – Die abgefragten Aspekte
Diese Aspekte sind als Annäherung zu verstehen, die finanzielle „Leistungsfähigkeit“ abzufragen. Eine Auswahl ist schwierig und es wird sich immer jemand finden, der dieses oder jenes nicht benötigt oder als nicht wichtig erachtet. Auch hier musste daher ein Kompromiss gefunden werden, welcher noch dazu in mehreren Ländern der EU anwendbar ist, um eine Vergleichsbasis zu schaffen. Kritisch muss man in Hinblick auf ältere Menschen aber sagen, dass wichtige Aspekte, wie bspw. barrierefreie Nassräume fehlen. Wer sich das nicht leisten kann, tut sich mit zunehmendem Alter möglicherweise schwer und kann deshalb nicht in der Wohnung bleiben.
- Armut und Ausgrenzung
Zusammen ergeben die beiden Dimensionen die Zahl an Personen, welche von Armut oder sozi-aler Ausgrenzung betroffen sind.
Gesamt | Armutsgefährdung | Erhebliche materielle Deprivation | Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung | |
Soziodemographische Merkmale | in 1.000 | in 1.000 / in % | in 1.000 / in % | in 1.000 / in % |
65 Jahre und älter | 1.543 | 203 / 13 | 18 / 7 | 212 / 14 |
Frauen | 869 | 136 / 16 | 14 / 2 | 142 / 16 |
Männer | 674 | 67 / 20 | (4) / (4) | 69 / 10 |
(siehe Statistik Austria, 2017a, S. 80)
Von den insgesamt knapp über 1,5 Millionen Menschen in Österreich, welche im Jahr 2016 ein Alter von 65 Jahren oder mehr hatten, galten 212.000 bzw. 14% in der Gruppe als armuts- bzw. ausgrenzungsgefährdet. Besonders deutlich wird mit 143.000 Personen bzw. 16% die Betrof-fenheit von älteren Frauen. Altersarmut gilt als feminisiert – d.h. in absoluten Zahlen sind zweimal so viele Frauen wie Männer betroffen. Auch wenn im Alter mehr Frauen als Männer leben, so zeigt auch die Quote von 16% bei Frauen (d.h. 16% der älteren Frauen sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet) und nur 10% bei Männern, dass Frauen überproportional betroffen sind.
Kurz sei noch erwähnt, dass es bei Altersarmut wichtig ist, auch das „Alter“ zu definieren. In der obigen Tabelle erfolgt dies über das kalendarische Alter (65+). Dies ist leider nicht sehr treffsicher, denn Frauen können mit 60 die Pension antreten. Leider hat sich die Altersgrenze 65+ in der Sozialberichterstattung etabliert; einige Frauen werden daher hier nicht erfasst, obwohl sie bereits in Pension sind. Sich auf den Status Pension zu verlassen, ist jedoch auch nicht so treffsi-cher, wie man meinen möchte. Für einige Tausend „PensionistInnen“ ist aktuell der Umstand Realität, dass sie in der bedarfsorientierten Mindestsicherung leben müssen und mit hoher Wahrscheinlichkeit nie einen Pensionsanspruch erwerben werden.
Exkurs zur Definition
Gerne wird eingeworfen, dass jeder Mensch sein eigenes Verständnis von Armut hat. Eine Definition, die sozusagen einen allgemeingültigen Konsens über alle Mitglieder einer Gesellschaft bildet, wird sich schwer finden lassen. Es muss folglich einen Kompromiss geben. Was für und gegen diese Definition spricht, lässt sich in seiner vollen Bandbreite hier leider nicht darstellen; es lässt sich jedoch sagen, dass sich diese Definition in einem langen Diskussionsprozess in der Wissenschaft herausgebildet hat. Daher nur ein paar Erwägungen: Es ist eine Tatsache, dass es Menschen, welche unter der Armutsschwelle leben, in vielen Bereichen häufiger schlechter ergeht, als Personen über dieser Grenze. Sie haben häufiger und mehr Schwierigkeiten finanziell über den Monat zu kommen, es fehlen häufiger Güter des täglichen Bedarfs, der Gesundheitszustand ist schlechter, größere Anschaffungen (etwa der Ersatz einer Warmwassertherme) sind hoch problematisch usw. (u.a. BMASK, 2012, 2014, 2017). Geld ist in unserer Gesellschaft ein entscheidendes Mittel und wird in nahezu allen Bereichen unseres Lebens benötigt. In einem wissenschaftlichen Projekt (Kemmetmüller, Leitner, & Moser, 2010) wurden die sogenannten Referenzbudgets ermittelt – sie beinhalten Kostenaufstellungen über Nahrung, Wohnen, Energie, Kleidung, Gesundheit(svorsorge), Kosten für Telekommunikation usw. – und wurden für einen Einpersonenhaushalt im Jahr 2016 auf 1.379 Euro im Monat geschätzt, also um gut 200 Euro pro Monat höher, als die Armutsgefährdungsschwelle angibt. Aus der Konsumerhebung der Statistik Austria (2017b, S. 32) lässt sich zudem ablesen, dass die untersten Einkommensgruppen einen großen Teil des Einkommens nur für den Grundbedarf wie Nahrung, Kleidung und Wohnen ausgeben müssen. Eindeutig ist, dass unter der Armutsgrenze zu leben für die betroffenen Menschen heißt, sehr häufig Benachteiligung und eine schlechtere, teils äußerst angespannte Lebenssituation hinnehmen zu müssen. Wollen wir das? Ist das mit unseren Werten über die Menschenwürde vereinbar?
Was bedeutet es, in Altersarmut zu leben?
Hierzu einige Fakten:
- Einkommen 56% der altersarmen Menschen geben an, dass ihr Einkommen geringer als benötigt ist; bei nicht armutsgefährdeten SeniorInnen sind es hingegen 15% (Statistik Austria, 2005, S. 104). 61% haben Schwierigkeiten finanziell im Monat über die Runden zu kommen (versus 27%) – eigene Berechnungen auf Basis SILC 2016.
- Gesundheit Im Schnitt wird der Gesundheitszustand von 18% aller älteren Menschen als sehr schlecht bzw. schlecht beurteilt, nur auf die Gruppe der armuts- und ausgrenzungsgefährdeten älteren Menschen bezogen sind es jedoch 23%. Chronisch krank sind letztere zu 64%, im Gegensatz dazu 60% aller Älteren. Kurz gesagt, von Altersarmut betroffene Menschen sind häufiger von einem schlechten Gesundheitszustand betroffen (Statistik Austria, 2017a, S. 69).
- Wohnen Bereits die Wohnkostenbelastung liegt bei armutsgefährdeten älteren Menschen bei 30,1% im Gegensatz zu 14,4% bei allen 65 Jahre alten und älteren Personen (vgl. Statistik Austria, 2014, S. 165); 11% der von Altersarmut betroffenen Menschen leben in Sub-standardwohnungen, hingegen 3% der nicht armen SeniorInnen.
- Zufriedenheit Altersarme Menschen weisen eine geringere Lebenszufriedenheit als der Schnitt aller älteren Personen auf, weniger zufrieden sind sie zudem mit der finanziellen Situation des Haushaltes (Statistik Austria, 2014, S. 132ff.).
Literatur
BMASK. (2012). Sozialbericht 2011-2012. Wien: Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz. Abgerufen von https://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/9/6/5/CH3434/CMS1452073600701/soziale-sicherheit_sozialbericht-2013-2014.pdf
BMASK. (2014). Sozialbericht 2013-2014. Wien: Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz. Abgerufen von https://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/9/6/5/CH3434/CMS1452073600701/soziale-sicherheit_sozialbericht-2013-2014.pdf
BMASK. (2017). Sozialbericht 2015-2016. Wien: Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz. Abgerufen von https://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/9/6/5/CH3434/CMS1452073600701/soziale-sicherheit_sozialbericht-2013-2014.pdf
Kemmetmüller, M., Leitner, C., & Moser, M. (2010). Zur Entwicklung der österreichischen Refe-renzbudgets. In ASB Schuldnerberatungen GmbH (Hrsg.), Referenzbudgets zur Stärkung sozialer Teilhabe (S. 18–33). Linz: ASB Schuldnerberatungen GmbH. Abgerufen von http://www.budgetberatung.at/downloads/infodatenbank/referenzbudgets/referenzbudgets-booklet2010.pdf
Statistik Austria. (2005). Einkommen, Armut und Lebensbedingungen - Ergebnisse aus EU-SILC 2003. Wien: Statistik Austria.
Statistik Austria. (2014). Tabellenband EU-SILC 2013 - Einkommen, Armut und Lebensbedingungen. Wien: Statistik Austria.
Statistik Austria. (2017a). Tabellenband EU-SILC 2016 - Einkommen, Armut und Lebensbedingungen. Wien: Statistik Austria.
Statistik Austria. (2017b). Verbrauchsausgaben - Sozialstatistische Ergebnisse der Konsumerhebung. Wien: Statistik Austria. Abgerufen von http://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_NATIVE_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=115753
Autor
Lukas Richter, MSc., geb. 1988, Sozioökonom und Soziologe.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Univ. Lektor am Institut für empirische Sozialforschung und Soziologie an der WU Wien und am Institut für Soziologie an der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte im Bereich Altern und Armut bzw. Altersarmut.